Was Deutschland bewegt: Der Wahlkampf im Corona-Jahr nimmt Fahrt auf. Wer setzt sich durch in den Machtfragen zwischen Ländern und Bund, Kanzlerin und Ministerpräsidenten, zu denen die Sachfragen der Pandemiebewältigung längst herangereift sind? Und, noch spannender, was heißt das für die christdemokratische Kanzlerinnenpartei und die designierten Nachfolger für die höchste Machtposition in der Republik? Frische Konkurrenz, die richtig Lust aufs Ausüben von Regierungsgewalt versprüht und die wirklich alles besser zu machen verspricht, kommt derweil von grüner Seite… So geht’s dahin; und die Meinungsmacher der Republik befassen sich und ihr Publikum noch eine Weile mit den letzten Fragen der innerherrschaftlichen Konkurrenz, bevor sich das Volk dann im Herbst frei und geheim entscheidet, von wem es am liebsten regiert werden will. Die entsprechenden Angebote zur Vereinnahmung dokumentieren wir in unserer Chronik des Corona-Wahljahres 2021.Was Deutschland nicht bewegt: Fortschritte in einem Machtkampf anderer Art, der in der Republik immerzu und pausenlos stattfindet, nämlich der, den das Kapital gegen die Lohnarbeit im Lande führt. Mit und ohne Verweis auf Corona setzt zum Beispiel der deutsche Automobil-Musterkonzern neue Maßstäbe in Sachen Lohn, Leistung und Beschäftigung, die die Gegenseite zu schlucken hat, wenn sie überhaupt weiterbeschäftigt werden will. Die diesbezüglich erzielten Fortschritte dokumentieren wir in unserer Chronik über ein Jahr Arbeit bei Daimler.Der Machtkampf, den die Unternehmen unter- und gegeneinander führen, ist eigener Art. Er wird „Wettbewerb“ genannt, der auf „freien Märkten“ stattfindet, und gilt als Inbegriff wirtschaftlicher Effizienz und größtmöglicher Befriedigung von Bedürfnissen. Die Praxis sieht bekanntlich anders aus: In der wird viel Aufwand dafür getrieben, die lieben Mitbewerber so in die Enge zu treiben, dass sie möglichst vom freien Markt verschwinden. Dieser Kampf um die Enteignung freier Privateigentümer wird in der Fortsetzung unserer Abhandlung über die Konkurrenz der Kapitalisten erklärt: Wachstum durch Zentralisation von Kapital – der Konkurrenzkampf um die Überwindung der Konkurrenz. Dabei kommt sowohl die Rolle des Staates wie die des Finanzwesens zur Sprache, die dafür sorgen, dass der Kampf ums Monopol nicht das Ende, sondern der Alltag der kapitalistischen Konkurrenz ist. Zu dem gehören dann auch solche ab und an auftretenden Schönheiten der kapitalistischen Produktionsweise, deren Zerstörungspotenzial jede Pandemie alt aussehen lässt – und die zuallerletzt der Logik und Tatkraft findiger Unternehmer nachgesagt werden.
Der GegenStandpunkt kann im Buchhandel oder direkt beim Verlag bestellt werden:
ISSN 0941-5831, € 15.
In Hamburg ist der GegenStandpunkt u.a. erhältlich bei: Buchhandlung im Schanzenviertel, Schulterblatt 55 · Heinrich Heine Buchhandlung, Grindelallee 28 · Kurt Heymann, Eppendorfer Baum 27 · Axel Lüders, Heußweg 33 · cohen + dobernigg, Sternstr. 4 · Jokers , Bahrenfelder Str. 119; Hauptbahnhof / Bahnhof Altona und Airport Hamburg.
Im Wendland: Buch und Musik, Am Markt 3, 29456 Hitzacker
GegenStandpunkt Verlagsgesellschaft, Kirchenstraße 88, 81675 München www.gegenstandpunkt.com
Eine Lektion über den politischen Gebrauchswert der Moral
Es war vor einem Jahr, da war eine öffentliche Minute lang allgemeines Klatschen angesagt. Demonstrativ angeleitet vom Dienstherrn im Schloss Bellevue bekamen all jene herzlichen Beifall, die bei und trotz der ohnehin schon miserablen Arbeitsbedingungen auch unter der Pandemie ihre Arbeit im öffentlichen Auftrag dienst- und weisungsgemäß verrichtet haben. Die offizielle Hochachtung als „systemrelevante“ Hilfskräfte im nationalen Alltagsgetriebe hat die Gewerkschaft wie den endgültigen moralischen Verdienstausweis für ihre Klientel verbucht – und als unabweisbare Berechtigung ihren Tarifforderungen unterlegt; so als käme der Staat ausweislich seines selbst erwiesenen Respekts nicht mehr umhin, den moralischen Verdienst der von ihm Beschäftigten mit ein paar Prozent mehr Lohn zu vergüten. Damit hat sie sich gründlich geschnitten. Der „Verhandlungspartner“ auf staatlicher Seite hat schweres moralisches Geschütz aufgefahren und mit einer Lektion in Sachen gesunder Gemeinsinn der Gewerkschaft eine Abfuhr erteilt. Die ist über die gelaufene Tarifrunde hinaus lehrreich…
Wie und warum Deutschland sich Russland zum Feind macht
In der deutschen Politik zirkuliert die Auffassung, dass eine grundlegende Korrektur der bisherigen Russlandpolitik ansteht. Die Rede ist von einem „Wendepunkt“, einer Verabschiedung von „verklärter Romantik und der Hoffnung, Wandel durch Handel zu erzeugen“. Ob für das Programm, den anderen Staat benutzen und zugleich so weit wie möglich unterordnen und entmachten zu wollen, die Charakterisierung „romantisch“ so ganz die passende ist, sei dahingestellt – für den anvisierten politischen „Strategiewechsel“ wird in Politik und Öffentlichkeit die Vergiftung Alexei Nawalnys angeführt. Was den treibt, wenn er ein ums andere Mal in den Macht- und Geschäftskreisen Russlands Korruption aufdeckt, am gesamten Herrschafts- und Wirtschaftssystem nichts als Umtriebe von „Dieben und Gaunern“ wahrnehmen will, und Putin mittendrin als das Böse an der Macht entlarvt, ist eine Sache.
Eine andere Sache ist es, wenn die hiesigen Sittenwächter des demokratischen Rechtsstaats sich des „Kreml-Kritikers“ als leibhaftiger Anklage des „Systems Putin“ bedienen, um daraus ihre Anklage zu drechseln. Die erschöpft sich nicht in der Konstruktion einer hermetischen Beweiskette samt abgeschlossenem Schuldspruch. Mindestens so gut wie die geistige Feindaufklärung beherrschen die Repräsentanten der rechtsstaatlichen Macht das, was sie stets für angebracht halten, wenn sie an missliebigen ‚Regimen‘ den gehörigen Respekt vor ihren Ansprüchen und Maßgaben vermissen: Disziplinierung tut Not – selbstverständlich nur, weil Putin anders nicht zu beeindrucken ist. Über die angesagte „Härte der Politik“ lassen sich die maßgeblichen Russlandkenner in Deutschland derzeit heftig aus, rufen nach wirksameren Sanktionen als bisher und manche halten, ein wenig geschult an Trump, einen Abbruch von Nord Stream 2 für die angemessene Bestrafung des unbotmäßigen Riesenreiches und seiner politischen Führung.
Zur Klärung der Frage, warum und wie das alles zusammenhängt und im Weiteren auch mit Amerika und einer Pipeline in der Ostsee, empfiehlt sich eine nähere Besichtigung des Falls Nawalny. Der „Giftanschlag“ soll ja schließlich als Beweismittel für den deutschen Standpunkt taugen, dass es mit Putins Russland auf dem gemeinsamen Kontinent kaum mehr auszuhalten ist…